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Leistungswille trotz abgelehnter Prozessbeschäftigung/Annahmeverzug

Leistungswille trotz abgelehnter Prozessbeschäftigung/Annahmeverzug

In einem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall (BAG, Urteil vom 29. März 2023 – V AZR 255/22) stritten die Parteien des Rechtsstreits über Vergütungsansprüche. Dem Kläger, der bei der Beklagten beschäftigt war, erhielt von Letzterer eine fristlose Änderungskündigung, mit der ihm eine Tätigkeit als Softwareentwickler gegen eine auf 3.750,00 € von vorher 5.250,00 € brutto monatlich ermäßigte Vergütung angeboten worden ist.

Neben weiteren Regelungen enthielt dieses Schreiben folgende Textpassage:

„Im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung durch Sie (also im Falle, dass Sie von einem unaufgelösten Arbeitsverhältnis ausgehen) oder im Falle der Annahme des folgenden Angebots erwarten wir Sie am 05.12.2019 spätestens um 12.00 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt“.

Weder erschien der Kläger zur Arbeit noch nahm er das Änderungsangebot an, lehnte dieses vielmehr durch anwaltliches Schreiben ab.

Die Änderungskündigung stützte der Geschäftsführer der Komplementärin der Beklagten auf rund 40 Seiten auf das Verhalten des Klägers.

Die Vorwürfe lauteten u. a., dass dieser die im Unternehmen bestehende „Wohlfühlatmosphäre“ zerstören würde, einen „Drang nach übermäßiger Aufmerksamkeit und Anerkennung“ zeige, ein Verhalten, das „treuewidrig und damit verwerflich“ sei. Er besitze keine „Kompromissfindungsfähigkeit“ und nehme auch vorsätzliche Schädigungen der Beklagten in Kauf.

Insofern sei dieser für eine Weiterbeschäftigung nicht zumutbar.

Weil der Kläger seine Tätigkeit nicht wieder aufnahm, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut, und zwar dann „außerordentlich zum 17.12.2019 um 12.00 Uhr MEZ“.

Außerdem enthielt das Schreiben den Zusatz „im Fall der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung“ erwarte man den Kläger „am 17.12.2019 spätestens um 12.00 Uhr MEZ“ zur Aufnahme der Tätigkeit. Auch diesem kam der Kläger erneut nicht nach.

Da die Beklagte für Dezember 2019 nur noch eine Vergütung von 765,14 € brutto zahlte und der Kläger erst zum 01. April 2020 ein neues Beschäftigungsverhältnis aufnehmen konnte, hat er in Klageerweiterung des Kündigungsschutzprozesses auch seine Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzuges geltend gemacht.

In den Gründen stellt das BAG zunächst einmal fest, dass nach ständiger Rechtsprechung der unwirksam kündigende Arbeitgeber gemäß §§ 293 ff. BGB in Annahmeverzug kommt, ohne dass es ein auch nur wörtliches Arbeitsangebot durch den Arbeitnehmer voraussetzt. Denn in dieser Kündigung liege gleichzeitig die Erklärung, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. bei der fristlosen Kündigung nach deren Zugang nicht mehr entgegenzunehmen.

Neben weiteren Ansätzen befasst sich die Entscheidung vor allem mit der Frage, ob fehlender Leistungswille im Sinne des § 297 BGB nicht stets dann indiziert sei, wenn der Arbeitnehmer sich weigert, bei dem kündigenden Arbeitgeber nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. dem Zugang einer fristlosen Kündigung die Tätigkeit fortzusetzen.

Das BAG führt hierzu aus, dass ein entsprechender Rückschluss nur zulässig sei, wenn der Arbeitnehmer auch ein Angebot des Arbeitgebers ablehne, das trotz Aufrechterhaltung der Kündigung auf eine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen ausgerichtet und dessen Annahme auch sonst zumutbar sei. Das BAG stuft die in beiden Kündigungsschreiben aufgenommene Aufforderung zum Arbeitsantritt, wie oben zitiert, nicht als ernstgemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung ein.

Die Beklagte habe nach Ausspruch ihrer unwirksamen verhaltensbedingten fristlosen Kündigung nicht ernsthaft eine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen angeboten. Vielmehr seien den Äußerungen schon in dem Kündigungsschreiben zu entnehmen, dass er dem Kläger zwar eine Prozessbeschäftigung anträgt, ohne aber dass ein wirklicher Wille tatsächlich auf eine solche Beschäftigung trotz Festhaltens an der erklärten Kündigung ausgerichtet ist. In dem entschiedenen Fall hat das BAG darauf verwiesen, dass ein Arbeitgeber, der das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB verhaltensbedingt fristlos kündigt, soweit ihm die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses nicht länger zumutbar scheint, „kann in der Regel – ohne von einem arbeitsgerichtlichen Urteil dazu gezwungen zu sein – nicht ernsthaft den weiteren Vollzug des Arbeitsverhältnisses wollen mit dem Risiko, damit – wie im Streitfall im Kündigungsschutzprozess geschehen – die behauptete Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung selbst zu widerlegen.“

Das BAG konnte nicht erkennen und auch keine Darlegung sehen, „wie sich angesichts der von ihr gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe und der von ihr reklamierten Unzumutbarkeit von dessen Weiterbeschäftigung eine – auch nur vorübergehend für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses – der Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit gestalten sollte“.

Das BAG geht dann auch auf die umfangreichen Vorwürfe mannigfaltigen  Fehlverhaltens ein und hat hervorgehoben, dass die Beklagte auch im Kündigungsschutzprozess (erstinstanzlich ohne anwaltliche Hilfe geführt) daran festgehalten und umfangreich zu schildern versucht habe, aus welchen Gründen ihm eine weitere Beschäftigung des Klägers unzumutbar sei. Das „Angebot“ einer Prozessbeschäftigung „diente offenbar allein ihrem mehrfach bekundeten Bestreben, die Zahlung von Annahmeverzugsvergütung zu vermeiden“.

Das BAG geht dann noch auf die Annahme ein, dass die Beklagte dem Kläger im Zusammenhang mit ihren unwirksamen Kündigungen ein ernstgemeintes Angebot für eine Beschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen unterbreitet hätte.

Hier kommt es zu dem Ergebnis, dass auch deren Ablehnung keine Leistungsunwilligkeit des Klägers im Sinne des § 297 BGB begründet hätte. Unter anderem führt das BAG hier aus, dass zur Beendigung des Annahmeverzuges der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Aufforderung zur Aufnahme der Arbeit aussprechen und dies mit der Erklärung verbinden müsse, dass er die Arbeitsleistung als Erfüllung des fortbestehenden Arbeitsvertrages annehme. Anderenfalls endet der Annahmeverzug nicht, wenn der Arbeitgeber hierbei gleichzeitig die Kündigung aufrecht erhält.

Dann geht das Gericht noch auf § 11 Nr. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ein. Diese Vorschrift sieht vor, dass sich ein Arbeitnehmer anrechnen lassen müsse, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.

Ein Arbeitnehmer unterlasse böswillig im Sinne dieser Vorschrift anderweitigen Verdienst, „wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzuges trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und er nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB unter Beachtung des Grundgesetzes auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme bewusst verhindert“.

In dem besonderen Streitfall hat das BAG die Zumutbarkeit für den Kläger zur Arbeitsaufnahme verneint, da hierfür die Art der Kündigung und ihre Begründung sowie das Verhalten des Arbeitgebers in dem Kündigungsschutzprozess entscheidend sei. Bei einer personen- oder betriebsbedingten Kündigung sei dem Arbeitnehmer eine vorläufige Weiterbeschäftigung im Normalfall zuzumuten. Eine verhaltensbedingte Kündigung belege eher die Unzumutbarkeit vorläufiger Weiterbeschäftigung, wobei im Streitfall insbesondere Art und Schwere der gegen den Arbeitnehmer erhobenen Vorwürfe eben gerade die Unzumutbarkeit begründen. Insgesamt ist das BAG daher zu dem Ergebnis gekommen, dass der Arbeitgeber trotz abgelehnter Prozessbeschäftigung in Annahmeverzug geraten ist und dem Arbeitnehmer Vergütungsansprüche zustehen.

Es ist also bei Aufkündigung eines Beschäftigungsverhältnisses auf der Basis verhaltensbedingter Gründe ausschlaggebend, in welcher Art und Schwere gegen den Arbeitnehmer erhobene Vorwürfe aufgebracht und damit gegen ein ernsthaftes Angebot zur Weiterbeschäftigung sprechen könnten.

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